Unter dem Motto „Wie sich Österreich bewegt“ veranstaltete „Die Presse“ mit den ÖBB, Siemens Mobility und dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie als Kooperationspartner einen Schwerpunkttag zum Thema Mobilität. Im Rahmen eines Livestreams von 9:30 bis in den späten Nachmittag hinein wurde ein spannendes Programm mit Live-Interviews, Diskussionsrunden und Impulsvorträgen geboten. Auch die Redaktion der Austrian Roadmap2050 verfolgte das Vormittagsprogramm.

Bahn über Elektromobilität?

Robert Braun, Institut für Höhere Studien, eröffnete das Programm mit einem Impulsvortrag zum aktuellen Stand der Mobilität. Das E-Auto sieht er dabei als Hoffnungsträger mit Makel.

“Science is ambiguous: E-cars may bring some advance in CO2 emissions across their whole cycle, but batteries and raw materials are extracted under horrifying conditions, and the supply chain creates an enormous CO2 impact. Battery disposal is also a problem”, so Braun über das zweischneidige Schwert der Elektromobilität.

Anstatt die E-Auto-Flotte europaweit anzuheben, setzt Braun auf die Bahn und möchte den Ausbau der Bahnnetze zu einer öffentlichen Dienstleistung machen.

“Track based mobility services are the most efficient and least environmentally harmful. Railways provide the backbone of commute and offer employment to many. Therefore, it should be treated as public service provision like the police or healthcare”, erklärt Braun und urgiert, schienengebundene Mobilität kostenlos zu machen, um den Umstieg auf die Bahn für berufliche und private Wege zu incentivieren.

Seine Vision für die Mobilität der Zukunft? „Technology is constructed by public imagination”, so Braun. Es gilt, sich weniger auf die Probleme neuer Mobilitätsformen zu konzentrieren, sondern gemeinsam passende Lösungsansätze zu entwickeln.

Arbeits- und Dienstwege auf Klimakurs bringen

Im Interview “Wo bewegen wir uns in Zukunft“ diskutierten Barbara Laa, Institut für Verkehrsplanung TU Wien, und Michael Schwendinger, Verkehrsclub Österreich, inwieweit die Verkehrsplanung in Abstimmung mit dem Mobilitätsverhalten und den Bedürfnissen der Bevölkerung einhergehen sollte.

„Verkehr und Raumplanung hängen zusammen: Ist die Infrastruktur vorhanden, werde ich sie auch nutzen“, so Laa. „Arbeitswege sind der wichtigste Wegzweck, weshalb wir werktags unterwegs sind. Diese werden aktuell noch großteils, zu 60%, mit dem Auto erledig, bei Dienstwegen ist dieser Anteil sogar noch höher. Wenn man Arbeits- und Dienstwege zusammennimmt und das hochrechnet, sind das beinahe die Hälfte aller Autokilometer der Haushalte an Werktagen. Das verursacht pro Jahr etwa vier Millionen Tonnen CO2“, so Schwendinger.

Er sieht hier die Verantwortung jedoch auch bei den Arbeitgebern: „Unternehmen müssen sich darum kümmern, wie ihre Arbeitnehmer zum Arbeitsplatz kommen.“ Um den Kostenblock für Firmen zu reduzieren, gibt es bereits zahlreiche Förderungsmöglichkeiten. Diese gilt es noch auszubauen.

Wie im Rahmen der Diskussion von beiden Experten bekräftigt, verursacht der Autoverkehr in den Städten gerade in den Stoßzeiten Probleme, welche die Unzufriedenheit mit dem persönlichen Verkehrsverhalten mindern, jedoch in den wenigsten Fällen zu einer tatsächlichen Verhaltensänderung führen, dazu seien Mobilitätsmuster und persönliche Gewohnheiten zu stark. „Letztendlich sind Kosten, Zeit und Verfügbarkeit entscheidend für die Wahl“, so Laa.

Siemens Mobility stellt die Weichen

Wie auch Braun, sieht Michael Peter, CEO Siemens Mobility, die Zukunft auf Schienen. „Wir sahen voraus, dass sich die weltweit gereisten Personenkilometer bis 2050 verdreifachen werden, wenn wir nichts tun – man geht von 60% aus.“

„Wir haben jahrelang versäumt, in die Netze zu investieren. Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit des Betriebs werden stark durch die Infrastruktur beeinträchtigt und das negative Feedback vieler Fahrgäste geht zumeist auf genau diese Infrastruktur zurück“, kommentiert Peter die aktuellen Herausforderungen. Verspätungen und Ausfälle sind oft die Konsequenz von den fehlenden Kapazitäten und Puffern.

Auch die technischen Voraussetzungen müssen gegeben sein. Mit dem Siemens Xcelerator schuf Siemens Mobility hier bereits die Basis für eine einheitliche „Sprache“ in der Bahnindustrie: eine digitale Plattform, die Automatisierung und  Kompatibilität verspricht. „Wenn ich so einen Algorithmus habe, um vorherzusagen, dass vielleicht eine Tür ausfällt, sollte diese nicht nur auf einem Typ Siemens, sondern allen Typen identisch funktionieren bzw. auf Zügen anderer Hersteller“, so Peter. Es gilt Standards zu schaffen.

Diese Investitionen müssen jetzt passieren, denn die Bahn ist nicht nur die klimafreundlichste, sondern auch günstigste Lösung zur Erreichung der Klimaziele. Dazu erläutert Peter: „Australien hat soeben beschlossen 10 Milliarden in die Bahn zu investieren und sprach gleichzeitig davon, dass es 270 Milliarden Australische Dollar kosten würde, die Energiewirtschaft umzustellen. Die Technik ist heute verfügbar und am meisten CO2 pro Euro sparen wir, wenn wir in die Bahn investieren.“

Wie bewegen wir uns in der Zukunft?

Über die Zukunft der Mobilität diskutierten Andreas Matthä, CEO der ÖBB-Holding AG, Vera Hofbauer vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Annette Mann, CEO von Austrian Airlines, und Oliver Schmerold, Direktor des ÖAMTC.

Zunächst wurde über den Verkehr Post-Covid gesprochen. Gerade in den Lockdowns und aufgrund der strengen Reisebestimmungen war der Personenverkehr in den Jahren 2020 und 2021 nur sehr eingeschränkt möglich.

Doch Annette Mann zeigt sich 2023 bereits wieder optimistisch: „Seit letztem Sommer ist die Reiselust und so auch das Geschäft zurück. Aktuell liegen wir bei den Passagierzahlen bei den Europaflügen über Vorkrisen-Niveau.“

Auch die Bahn hatte während der Corona-Pandemie zu kämpfen. „Während des ersten Lockdowns mussten wir erleben, innerhalb eines Tages 90% der Fahrgäste verloren zu haben. Wir wurden jedoch beauftragt, den Betrieb weiterzuführen, um die erforderliche Mobilität für gewisse Personengruppen aufrechtzuerhalten“, so Matthä. Die Auslastung in den folgenden Wochen und Monaten lag bei durchschnittlich 40-60%. Im April 2022 lag man nur mehr 15% unter den Rekordzahlen aus dem Jahr 2019 und aktuell liegt die ÖBB sogar 20% im Plus im Fernverkehr. Der Nahverkehr ist unverändert auf dem 2019-Niveau. Hier könnten Homeoffice, Rad und Scooter eine Rolle spielen.

Der Autoverkehr bleibt dabei nicht auf der Spur: Im ersten Halbjahr 2023 gab es 144.000 Pkw-Neuzulassungen,15% mehr als im Vorjahr. „Es sind jedoch rund 1/3 weniger als in den Jahren 2018 und 2019“, so Schmerold. Gründe für den aktuellen Anstieg seien die verzögerten Auslieferungen aus den Vorjahren. „Aber der Neubestellmarkt ist deutlich zurückgegangen und der Fahrzeugbestand in Summe bleibt stabil bzw. steigt sogar leicht an, das bedeutet, dass das Durchschnittsalter der LKW-Flotte in Österreich älter wird“, so Schmerold.

Die neuen PKW-Zulassungen sind also die Nachwehen aus den Corona-Jahren oder sind diese Zahlen anders zu interpretieren? „Es ist so, dass sich in den Bereichen etwas tut: 20% dieser Neuzulassungen sind E-Autos. Im Flugverkehr wird viel geforscht und viel investiert in Kraftstoff sparende und leisere Flugzeuge. Klimaticket und andere Angebote zeigen: Es gibt ein großes Plus beim ÖV.“, erklärt Hofbauer die Zahlen.

Gerade der Flugverkehr steht oft im Verruf, der größte Klimakiller zu sein. Doch dank moderner Technik und Biokraftstoffen ist umweltfreundliches Fliegen mittlerweile möglich. Anette Mann würde außerdem eine europäische Klimaabgabe auf Flugtickets befürworten: „Denn es würde uns helfen, die Beimischungsquote für nachhaltige Kraftstoffe so umsetzen, sodass eine Airline wie die Austrian und grundsätzlich europäische Airlines damit nicht im Nachteil im globalen Wettbewerb stehen.“ Wie klimaneutral der Kunde fliegen möchte, hat er/sie selbst in der Hand: Bei der Buchung kann sich jeder Kunde für einen Aufpreis für nachhaltiges Kerosin entscheiden. Aktuell tun dies jedoch nur 2-3% der Austrian Airline-Kund: innen.

Vera Hofbauer unterstützt dies: „Fairness zwischen den einzelnen Unternehmen im Flugbereich ist wichtig! Dass der Flugverkehr derzeit zu günstig ist und insgesamt zu wenig an den CO2-Themen angelastet wird, da sind wir uns einig.“

Österreichische Kund:innen fliegen also aktuell noch lieber, weil es eine kostengünstige Variante ist, um weite Wegstrecken zurückzulegen. Dazu Matthä: „Bei Strecken mit vier bis fünf Stunden Fahrzeit bieten die Bahn eine gute Alternative. Bei Billigflugtickets für Europaflüge sollte man sich fragen, wer zahlt es, wenn nicht der Kunde?“ Die ÖBB möchte ein ganzheitliches Produkt verkaufen und im Gegensatz zu einigen Billigfluglinien, keine versteckten Kosten für Leistungen wie die Gepäcksmitnahme und Co verrechnen. Das Klimaticket schafft hier eine gute Basis, um Österreichweit bequem und ganzjährig zu reisen. Überfüllte Züge sind die Konsequenz von einem sehr erfolgreichem Klimaticket, stark frequentierten Strecken und den Stoßzeiten. Kapazitäten gäbe es genug, die ÖBB ist jedoch trotzdem bemüht, neue Berechnung für Fahrgastzahlen anzustellen – neue Züge wurden bereits bestellt.

Schmerold erläuterte abschließend, dass der ÖAMTC sich nicht ausschließend als Interessensvertreter der Autofahrer:innen sehe: „Wir möchten Menschen in ihrer Mobilität begleiten und unterstützen, im Auto, aber auch in allen anderen Mobilitätsformen. Umfragen zeigen, dass das öffentliche Interesse groß ist, klimaneutral zu leben. Das Bewusstsein ist breit verankert, es gilt jetzt Maßnahmen zu setzen.“

Ein spannender Vormittag mit vielen Impulsen und Ideen zur Zukunft der Mobilität.

Alle Interviews und Diskussionen können Sie hier ansehen: https://www.diepresse.com/events/mobilitaetstag

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